Ein Geschenk der Götter - Working-Class-Komödie mit Katharina Marie Schubert. Kinostart: 9. Oktober 2014 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 06.10.2014


Ein Geschenk der Götter - Working-Class-Komödie mit Katharina Marie Schubert. Kinostart: 9. Oktober 2014
Helga Egetenmeier

Die sympathisch-kantige Schauspielerin Anna fliegt aus ihrer kleinen Rolle am Stadttheater Ulm und muss zum Jobcenter. Umgehend als Leiterin einer Weiterbildungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose...




...engagiert, erhalten diese statt des versprochenen Computerkurses eine Unterrichtung in Schauspiel am Beispiel des Theaterstücks "Antigone".

So tragisch und zugleich komisch die Geschichte beginnt, folgen viele weitere Momente ernster und absurder Alltäglichkeiten, bei denen die ProtagonistInnen jede Träne vor Lachen oder Anteilnahme verdienen. In einer kleinen Großstadt als Schauspielerin beim Jobcenter zu landen, stellt beide Seiten vor ungeahnte Probleme. Deshalb findet die Abteilungschefin ihren Plan genial, diese unbequeme Arbeitslose gleich als Kursleiterin vor eine bunte Gruppe "schwer Vermittelbarer" zu stellen.

Wie auch Anna (Katharina Marie Schubert), hat sich jedeR der acht Arbeitslosen mit seinen persönlichen Problemen gegenüber den gesellschaftlichen Anforderungen auseinanderzusetzen. Die arbeitslose Schauspielerin will sich auf keine Affäre einlassen, nur um einen Job zu bekommen, Linda will kein weiteres Praktikum, sondern einen Ausbildungsplatz und Franz und Betty sehen sich als abgearbeitete Ältere nicht in der Position, jemals wieder einen Job zu bekommen.

Differenziert arbeitet der Blick der Kamera auch die weiteren ProtagonistInnen mit ihren persönlichen Eigenheiten heraus. Unterstützt durch spielfreudige SchauspielerInnen, wie den quirligen Adam Bousdoukos und die resolute Marion Breckwoldt, setzen ruhige und einprägsame Farb- und Bildkompositionen das facettenreiche Arrangement gefühlvoll in Szene.

Antigone nach Sophokles

Die bei Sophokles bereits mit ihrer Geburt als Tochter und Schwester des Ödipus unverschuldet tragische Figur Antigone besetzt Anna mit der scheuen Friederike, sehr eindrucksvoll gespielt von Katharina Hauter. Zu den Proben kommt sie meist zu spät oder mit ihren Zwillingen, die genau wie ihr psychisch labiler Mann, betreut werden müssen. Der Film führt hier entlang Judith Butlers Blick auf Antigone als Modell für neue Verwandtschaftsformen, Friederike erscheint auch als "Mutter" für den Vater ihrer Kinder.

"Das ist kein Staat, der einem nur gehört"

Gleichzeitig ist Antigone auch Gesetzesbrecherin und wird von Haimon, ihrem Verlobten, gegen seinen Vater, König Kreon, mit diesem Satz verteidigt. Denn der Tyrann Kreon, hingebungsvoll gespielt von dem in die Jobcenter-Maßnahme gepressten Dimitri (Adam Bousdoukos), fordert Gehorsam, damit die Ordnung im Staat aufrecht erhalten bleibt.

Leidenschaftlich diskutieren die LaiendarstellerInnen anhand der Rollendialoge ihre Vorstellungen zu Sophokles Staatsfragen und kommen dabei in die Auseinandersetzung um ihr eigenes Leben. An diesen Stellen korrespondiert der Film mit der Frage, wessen Interessen das Gebilde Staat vertritt und wie fragwürdige Arbeitsamtsmaßnahmen zu dem Recht des Einzelnen auf ein menschenwürdiges Leben stehen.

Arbeitslose LaiendarstellerInnen in der Hochkultur

Als das Jobcenter das Geld für die Maßnahme streicht, steht die kleine Schauspielgruppe vor dem Aus. Doch die ungewöhnliche Gemeinschaft hat sich emotional gefunden und gibt diese Geborgenheit nicht so schnell auf. Der insolvente Tischler Franz stellt deshalb seine Räume für weitere gemeinsame Proben zur Verfügung.

Auf der selbst gezimmerten Bühne streiten und feilen sie weiter an ihrer "Antigone", die vor ihnen auch Hegel analysierte und Brecht auf die Bühne brachte. Das Engagement des gut gewählten Cast bringt scheinbar problemlos den Alltag der Arbeitslosen in die hochkulturelle Theaterlandschaft. Beide Welten dürfen gegen Ende des Films aufeinander treffen, als die Laiengruppe im pompösen Stadttheater auftritt.

AVIVA-Tipp: Bitterschön anzusehen ist diese tragische Komödie um eine kleine Gruppe von Arbeitslosen, die sich trotz ihrer Verschiedenheit stützend zusammen findet. Der leicht inszenierte Mutmacher-Film lässt dennoch die Probleme dort, wo sie hingehören und ausgehandelt werden sollten, im Alltag der Gesellschaft. Ein Film, der der Pilotfilm für eine richtig gute Serie sein könnte.

Zu den DarstellerInnen:

Katharina Marie Schubert
absolvierte ihre Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und hatte ihr erstes Engagement am Burgtheater Wien. Sie war sieben Jahre festes Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen und erhielt dort 2005 den Förderpreis für junge DarstellerInnen. In den letzten Jahren arbeitete sie als Haupt- und Nebendarstellerin in Film- und TV-Produktionen und reüssierte als Kurzfilm-Regisseurin.

Adam Bousdoukos spielte bereits als Teenager kleinere Rollen in Werbespots und nahm später Unterricht an der Hamburger Stageschool. Beim Internationalen Filmfest von Locarno 1998 erhielt er den Bronzenen Löwen zusammen mit Mehmet Kurtulus und Aleksander Jovanovic, 2001 einen Adolf-Grimme-Preis. Einen großen Publikum bekannt wurde er durch "Soul Kitchen", dort spielte er 2009 die Hauptrolle und schrieb mit Fatih Akin das Drehbuch.

Marion Breckwoldt war langjähriges Ensemblemitglied am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, arbeitet als Theaterschauspielerin und in TV-Produktionen.

Katharina Hauter studierte an der Bayerischen Theaterakademie in München, wechselte nach Engagements in München zum Nationaltheater in Mannheim und arbeitet für Film und Fernsehen. Sie wurde für "Ein Geschenk der Götter" als beste Schauspielerin für den Förderpreis Neues Deutsches Kino nominiert.

Montage: Anja Pohl studierte Geschichte, Politische Wissenschaften und Allgemeine Gestaltung. Nach diversen Praktika und Assistenzen im Bereich Filmschnitt arbeitet sie seit 1996 als freie Film- und Fernseh-Editorin. Neben weiteren Nominierungen, wurde sie 2004 für den Dokumentarfilm "Die Geschichte vom weinenden Kamel" für den Schnittpreis des Festivals "film+" und beim 12. Femina-Film-Preis 2008 im Bereich Perspektive für "Feuerherz" nominiert. Für "Die Unzerbrechlichen" erhielt sie den BildKunst-Schnittpreis. Sie unterrichtet als Lehrbeauftragte an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film.

Auszeichnungen
Bayern 3 Publikumspreis beim Internationalen Filmfest München 2014
Förderpreis Neues Deutsches Kino Beste Produktion

Ein Geschenk der Götter
Deutschland 2014
Regie und Drehbuch: Oliver Haffner
DarstellerInnen: Katharina Marie Schubert, Adam Bousdoukos, Katharina Hauter, Paul Faßnacht, Marion Breckwoldt, Rainer Furch, Eva Löbau, u.a.
Kamera: Kaspar Kaven
Montage: Anja Pohl
Verleih: Arsenal Filmverleih
Lauflänge: 102 Minuten
Kinostart: 09.10.2014

Weitere Informationen unter:
www.arsenalfilm.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

12. Verleihung des Femina-Film-Preises

Die Geschichte vom weinenden Kamel

Soul Kitchen - Ein Film von Fatih Akin mit Adam Bousdoukos



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Beitrag vom 06.10.2014

Helga Egetenmeier